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Titelseite des Buches mit dem Stück
»Die Reise um Europa in 365 Tagen – Eine groteske Begebenheit in 15 Bildern«
1930 im Arcadia-Verlag GmbH, Berlin.
Foto: Klaus Haupt

 

 

Vorhang auf für Egon Erwin Kisch
Wie der »Rasende Reporter« auch auf Theaterbühnen erfolgreich war

Der »Rasende Reporter« auf der Theaterbühne? Über den Theatermann Kisch ist heute wenig bekannt. Aber seinerzeit waren seine Stücke sehr populär und wurden auf den Bühnen in Prag, Berlin, Wien, Mailand und anderen europäischen Städten mit Erfolg aufgeführt. Das lag vor allem an Kischs Kunst, die Sensationen des Alltags aus seinen Reportagen zu dramatisieren, so dass die Zuschauer »live« dabei sein konnten. Anläßlich seines 60. Todestages am 31. März soll hier eine Übersicht gegeben werden: Egon Erwin Kisch und die Hintergründe seiner Stücke.

DIE HIMMELFAHRT DER GALGENTONI
Kischs erste Theaterproduktion mit dem Untertitel »Eine sehr Prager Legende in drei Bildern« hatte am 22. Oktober 1921 in der tschechischen Revolutionären Bühne Premiere. Regie hatte wie bei fast allen Prager Kisch-Aufführungen der namhafte Emil Artur Longen. Die Hauptrolle spielte seine Frau Xena Longenová. Sie war der weibliche Bühnenstar jener Zeit in Prag und übernahm in der Regel die weiblichen Hauptrollen in Kischs Stücken.
Die Geschichte der Liebesdienerin Tonka Sibenice, die vor dem Himmlischen Gericht ihre Geschichte erzählt, einem zum Tode verurteilten Mädchenmörder vor der Hinrichtung den letzten Wunsch nach einem Liebesdienst erfüllt zu haben – weshalb sie anschließend den Spitznamen »Tonka Sibenice« (Galgentoni) erhielt – existiert neben der Dramatisierung in fünf Prosafassungen. Die »Galgentoni« lieferte den Stoff für den ersten tschechoslowakischen Tonfilm. Im Berliner Kabarett ‚Die Rakete‘ hat Rosa Valetti rund 200 Mal die »Galgentoni« gespielt. Auch in Wien war sie in dieser Rolle zu sehen.

DER MÄDCHENHIRT
Unter dem Titel »Pasáci, Pasáci...« (Ihr Hirten, Hirten ihr!) ist am 27. November 1921 in der Prager Revolutionären Bühne die dramatisierte Fassung von Kischs einzigem Roman »Der Mädchenhirt« (Pasáci) aufgeführt worden. Die Handlung spielt im Rotlichtmilieu auf der Prager Moldauinsel Kampa. Im Mittelpunkt steht ein Zuhälter. Auch dieser Stoff wurde in der Tschechoslowakei verfilmt und Ende 1929 in Prag uraufgeführt.

DIE REISE UM EUROPA IN 365 TAGEN
Das Stück – »Eine groteske Begebenheit in fünfzehn Bildern« – hatte in tschechischer Fassung am 31. Dezember 1921 auf der Revolutionären Bühne in Prag Premiere. Titel: »Aus Karlin nach Bratislava mit dem Dampfer ‚Lanna 8‘ in 365 Tagen«. Kisch hat das Stück zusammen mit seinem Freund Jaroslav Hasek.
Kisch war am 23. September 1920, früh 7.00 Uhr, an Bord des Moldaudampfers »Lanna 6« mit zwei Mann Besatzung im Hafen Holesovice in Prag zu einer Fahrt aufgebrochen, die ihn bis Anfang November zunächst auf Moldau und Elbe über Dresden bis Hamburg, dann über die Nordsee, Emden und auf dem Rhein über Köln bis nach Frankfurt/Main führte. Der Dampfer fuhr schließlich über die Donau bis nach Bratislava weiter und absolvierte eine Strecke von 2170 km.

DIE VERSTEIGERUNG VON CASTANS PANOPTIKUM
Mit der Uraufführung dieser Komödie unter dem Titel »Letzte Nacht in Castans Panoptikum« hat Rosa Valetti Mitte November 1922 das neue Theater »Die Rampe« am Kurfürstendamm in Berlin eröffnet. Die Proben hat Kisch geleitet, in Gesellschaft seines Freundes Alfred Polgar.
Es handelt sich dabei um das berühmte Wachsfigurenkabinett, das Louis Castan im Jahre 1875 in der prunkvollen Lindenpassage in der Friedrichstraße Ecke Behrenstraße in Berlin eröffnet hatte und das dann im Jahre 1888 in größere Räumlichkeiten in den gegenüber liegenden Häuserblock verlegt worden ist. Am 24. Februar 1922 ist Castans Panoptikum zwangsversteigert worden.

PICCAVER IM SALON GOLDSCMIED
Die Komödie »Das Geheimnis des Salons Goldschmied, Gemsengasse« ist Ende 1923 von Emil Artur Longen im Rokoko-Theater in Prag inszeniert worden. Dem Stück liegt die Reportage »Die Geheimnisse des Salons Goldschmied« zugrunde, die in dem Band »Hetzjagd durch die Zeit« aufgenommen ist. Es ist ein Bericht über die jahrhundertelange Geschichte von Bordellen in Prag. Das berühmteste und berüchtigste Etablissement zu Kischs Zeiten war der »Salon Goldschmied«. Sylvester 1919 war die Abschiedsnacht. Der Besitzer hatte sich angesichts öffentlichen Drucks entschlossen, Gebäude und Inventar per 1. Januar 1920 zu verkaufen.

DER FALL DES GENERALSTABSBSCHEFS REDL
Die »Tragikomödie in fünf Akten des k.u.k. Generalstabs« hatte in tschechischer Fassung am 22. Januar 1924 im Prager Rokoko-Theater Premiere. Die Aufführung wurde 175 Mal wiederholt.
Oberst Alfred Redl, Generalstabschef des 8. Prager Korps der k. u. k. österreichisch-ungarischen Armee und auch in die Spionageabwehr involviert, hatte sich in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1913 im Wiener Hotel Klomser mit einem Browning erschossen, worüber am 26. Mai eine kurze offizielle Pressemeldung erschienen war. Nicht erschienen war dagegen am Sonntag zuvor zum Punktespiel von Kischs Prager Fußballmannschaft »Sturm« der Verteidiger Wagner, von Beruf Schlosser. Er entschuldigte sich damit, dass er kurzfristig geholt worden sei, um eine Wohnung in Prag samt Schränken und Schreibtischfächern aufzubrechen. Kisch kombinierte und brachte seine Informationen in Form von »Wiener Gerüchten« in die Prager Zeitung »Bohemia«. So kam der Fall ins Rollen: Redl hatte Militärspionage betrieben – und Kisch ein Musterbeispiel für Enthüllungsjournalismus geliefert.
Der Redl-Stoff ist mehrfach verfilmt worden. 1925, 1931, 1955 und 1985. Zuletzt in der Regie von István Szabó mit Klaus Maria Brandauer, Armin Müller-Stahl und Gudrun Landgrebe.

SENSATION EINES JOURNALISTEN
Dieses Stück hatte am 5. November 1924 im Prager Rokoko-Theater Premiere. Die Handlung basiert auf dem Bericht »Die Mutter des Mörders und ein Reporter«. Es ist eine ergreifende Geschichte über Mutterliebe und Menschenwürde und dreht sich um den Fall des Franz Polanski, der unter Verdacht des Raubmordes verhaftet worden ist. Der Reporter – Kisch – sucht die Mutter des Mörders auf, um Einzelheiten über ihren Jungen zu erfahren. Sie klagt sich selber an, redet sich um Kopf und Kragen. Da erscheint plötzlich Franz, der Sohn. Der wahre Mörder ist inzwischen gefaßt worden – und der Reporter verläßt die Wohnung, »ohne auch nur eine Zeile zu haben.«

DIE GESTOHLENE STADT
Die Prager Premiere dieser »Komödie in drei Akten« gab es in tschechischer Fassung im Mai 1924 im Theater Apollo unter dem Titel »Das gestohlene Prag«.
Die Komödie basiert auf der »Historischen Nachricht von dem berüchtigten Gauner Christian Daniel Käsebier«. Dieser Erzfilou, wegen seiner Verbrechen zu lebenslänglichem Kerker verurteilt, war während des Siebenjährigen Krieges im Juni 1757 zum Hauptquartier Friedrich II. auf dem Weißen Berg vor Prag geholt worden, um die Stadt für den Preußischen König zu »erobern«: Er sollte in die hermetisch abgeriegelte, von österreichischen Truppen besetzte Stadt eindringen, die Lage ausspionieren und dem König von Preußen berichten. Der Stoff ist 1972 unter dem Titel »Die gestohlene Schlacht« von der DEFA in Koproduktion mit dem Studio Barrandov Prag verfilmt worden. Regie und Drehbuch Walter Stranka, tschechoslowakischer Koregisseur Miroslav Kubista. In der Hauptrolle als Käsebier brillierte Manfred Krug.

FERDA MESTEK DE PODSKAL, INHABER DES FLOHTHEATERS
Die Komödie »Wie Ferda Mestek de Podskal die Konzession fürs Flohtheater einholte« hatte am 16. März 1925 unter der Regie von Emil Artur Longen im Prager Rokoko-Theater Premiere. Dieses Stück über ein Prager Original hat den Untertitel »Prager historische Groteske aus der Zeit des Standrechts in den neunziger Jahren« des 19. Jahrhunderts und basiert auf dem Feuilleton »Dramaturgie des Flohtheaters« aus der Sammlung »Die Abenteuer in Prag«.
Es geht dabei um die Lebensgeschichte von Ferdinand Mestek, der am 17. März 1858 als Sohn eines Prager Schneidermeisters geboren worden ist und schließlich berühmt geworden ist als »ein Prager Theophrastus und Hagenbeck, ein Cagliostro und Till Eulenspiegel zugleich, allerdings im Flohformat.«

KISCH – DRAMATURG UND DERWISCH
Ganz abgesehen davon, dass Kisch bei verschiedenen Inszenierungen seiner Theaterstücke die Proben geleitet hat oder daran beteiligt gewesen ist, er war für einige Zeit sogar an einer renommierten Bühne engagiert. Nachdem er im Juni 1913 nach Berlin gegangen war, um sich hier eine Existenz aufzubauen, war er nicht nur journalistisch tätig. Im Frühjahr 1914 wurde er am Deutschen Künstlertheater Sozietät als Dramaturg engagiert. Sozietäre waren auch die Stars Tilla Darieux, Lucie Höflich und Paul Wegener. Wohl nicht ohne Stolz kokettierte Kisch damit, dass er als »unmittelbarer Nachfolger Gerhard Hauptmanns zum Dramaturgen« ernannt worden ist.
Ein gutes Jahrzehnt danach spielte Kisch seinerseits eine »herausragende Rolle« als Filmschauspieler. Er war für den Ufa-Film »Die Frauengasse in Algier« – mit einer Gage von 10,- Mark pro Tag – engagiert worden. Am Abend des 26. Dezember 1926 fuhr er als Mitglied der Filmcrew von Berlin mit dem Nachtzug nach Marseille. Bei den Außenaufnahmen in Algerien hatte er die Rolle des Komplizen eines Mädchenhändlers zu spielen und die Heldin der Geschichte in Gestalt von Camilla Horn ins Bordell zu bringen.
Jedoch bereits bei der ersten Aufnahme in Marseille war Kisch ins Bild gesetzt worden: Der Film-Staatsanwalt, dem die Verfolgung des Mädchenhändlers obliegt, fährt mit dem Auto im Hafen vor, um das Schiff nach Algier zu besteigen. Als das Auto hält, so ist bei Kisch zu lesen, »springt ein Detektiv in Strohhut und typischem Detektivmantel herbei, um dem Chef aus dem Wagen zu helfen und nach ihm das Fallreep zu besteigen.« Dieser Mann mit Filzhut, Sakko und dem symphatischen Rücken – »daß mein Gesicht vor Neid erblaßte« – ist kein anderer »als der demnächst berühmt werdende Filmdarsteller E. E. K.«. So hat ihn die Film-Welt – Premiere am 10. Mai 1927 - ohne es zu ahnen in einer Doppelrolle erlebt: Als Mädchenhandelbekämpfungsassisten und als Frauenhausbelieferungsgehilfen.
Na dann: Vorhang für Egon Erwin Kisch.

Veröffentlicht in: Neues Deutschland, 29./30. März 2008

 

 
 

 

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